Luciano De Crescenzo: "Geschichte der griechischen Philosophie"


Bestimmt eine Ausrede, aber ich komme derzeit einfach nicht zum Lesen! Darum nenne ich es auch mein Buch der Saison (und nicht der Woche oder des Monats). Zugegeben, es ist ein altes Buch und ich habe es gerade durch Zufall wieder in die Hand bekommen. Aber es ist ein großartiges Buch!

 

Selbst wenn man sich nicht für Philosophie interessieren sollte, ist das Kapitel XVII absolut lesenswert, denn es beschreibt in kurzer und knapper Form viele wesentliche Aspekte, die Mensch so über seine bzw. ihre Mitmenschen wissen muss oder sollte. Es ist kein Kapitel über einen längst verstorbenen Philosophen. Aber es steckt voller Philosophie und Menschenkenntnis. In diesem Kapitel beschreibt De Crescenzo das Welt- und Menschenbild eines (fiktiven) Gymnasiallehrers, nämlich das des Professors Gennaro Bellavista. 

 

Bellavista sieht sich gewissermaßen in einer Linie mit Epikur und dessen Ethik. Energie ist für ihn der Baustein allen Seins und diese wiederum kommt für ihn in zwei Formen daher: Liebe und Freiheit! So ist es für ihn auch nur logisch, dass auch Menschen anhand dieser beiden Kategorien eingeordnet werden können. Es gibt also Menschen der Freiheit und Menschen der Liebe.

 

Die Neapolitaner sind für ihn naturgemäß Menschen der Liebe. Sie suchen den engen Kontakt zu ihrer Familie, ihren Lieben und ihren Freunden. Ohne Menschen um sich herum können sie nicht sein. Die Menschen in Mailand sind für ihn dagegen Menschen der Freiheit. Sie glauben an die Vernunft, wobei sie dennoch jede Art der Einschränkung ihrer Freiheit als gewalttätigen Akt gegen ihre Person ansehen. Wo hier wohl die Menschen in Deutschland oder gar in Hamburg einsortiert würden? Ich glaube, dass das nicht schwer zu erraten ist. 

 

Wie so oft ist auch hier Schubladendenken wenig hilfreich, denn De Crescenzo weist gleich darauf hin, dass die Menschen natürlich keine Extremisten im Sinne von "Liebe oder Freiheit" sind. Da sind vielmehr unzählige Abstufungen zwischen diesen beiden Polen zu finden. Der weise Mensch, der ist für Crescenzo jemand, der bzw. die beide Pole ins rechte Verhältnis setzen und Herz und Vernunft situationsabhängig austarieren kann. Der oft langweilige Mittelweg hier also als der wirklich goldene. Denn: "Ein solcher Mensch ist fähig zu lieben; ohne erdrückend zu sein. Wer das Glück hat, ein Exemplar dieser Art zu kennen, sollte es sich nicht entwischen lassen". 

 

Für meinen Teil kann ich sagen, dass ich zu diesen Glücklichen zähle und "mein" Exemplar gefunden und sicher nicht mehr entwischen lassen will. Und ich kann auch sagen, dass sich das Lesen dieses Buches wirklich lohnt. Man muss sich auch nicht für jeden der dargestellten Philosophen begeistern, wobei Bellavista und Epikur sicher meine Favoriten sind.