Proband #066


 

Ersterfahrungen werden in Laufe meines Lebens weniger und mit diesem Empfinden, so möchte ich vermuten, bin ich nicht allein. Tatsächlich hatte ich vor einigen Tagen wieder so ein „Ersterlebnis“. Also genauer gesagt hätte es eines werden können, ist es dann aber doch nicht. Zumindest nicht komplett. Aber der Reihe nach.

 

 

Vor einigen Monaten suchte das UKE Probanden für den neuen und noch zu testenden Impfstoff zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Per Mail habe ich mich darauf gemeldet. Ich vermutete, dass sich wahrscheinlich tausende auf diesen Aufruf hin melden würden, dass ich da also sowieso nicht in Frage kommen würde. Falsch gedacht. Tatsächlich passierte zunächst wenig. Eine Eingangsbestätigung, ein paar zusätzliche Informationen zur Studie, dann ein Anruf: „Wir melden uns im Oktober oder November wieder“. Prima. Und dann kam tatsächlich ein konkreterer Anruf.

 

 

Es würden noch immer Probanden gesucht und ich hätte mich doch seinerzeit gemeldet und ob ich noch zur Verfügung stehen würde? Natürlich! Die freundliche Stimme am anderen Ende der Leitung stellte mir daraufhin einige Fragen zu meinem Gesundheitszustand und meiner Krankengeschichte. Drogen oder Alkoholprobleme? Chronische Krankheiten oder ernsthafte Vorerkrankungen? Grippeschutzimpfung? Ja, letztere hatte ich tatsächlich schon einige Wochen zuvor bekommen. Aber auch das passte noch mit dem geplanten Starttermin der Impfgruppen. „Herzlich willkommen in der Studie“! Wow!

 

 

Telefonisch wurde dann in der Folgewoche ein konkreter Termin für die Voruntersuchung gemacht. Diese Voruntersuchung dient der Sicherheit des Probanden – also meiner Sicherheit. Auch das Klinikinstitut will natürlich sichergehen, dass nur gesunde Probanden an den Start gehen. Es muss nicht gleich der schlimmste Fall eintreten, aber Komplikationen nach der Verabreichung einer Impfdosis sind sicher nicht eben positiv publikumswirksam. Schließlich ist der entwickelte Impfstoff noch nicht am Menschen getestet worden, da will man auf Nummer sicher gehen. Verständlich!

 

 

Der große Tag war da und auf dem Weg zum UKE habe ich mich gefragt, wie viele der potenziellen Probanden wohl kurzfristig kalte Füße bekommen und erst gar nicht zur vereinbarten Voruntersuchung erscheinen? Jeder dritte oder vierte vielleicht? Keine Ahnung. An meinem Voruntersuchungstag schienen jedenfalls alle komplett versammelt zu sein. Wir waren insgesamt 6 Probanden, die an diesem Morgen die Voruntersuchung durchlaufen sollten. Zwei Frauen und vier Männer. Ich war definitiv der älteste Proband!

 

 

Am Empfang wurde der Ausweis kontrolliert und die Kontaktdaten abgeglichen. Ich bekam ein Armband angelegt, auf dem unter anderem mein Name vermerkt war. Dann ging es recht flott in eine Art Warteraum, in dem schon eine weitere Probandin saß. In den folgenden Minuten füllte sich der Raum mit den übrigen Probanden. Wir alle bekamen einen Stoß Papier in die Hand. Darin fand sich eine detaillierte Beschreibung der Studie nebst vorbereiteter Einwilligungserklärung zur Teilnahme an der Studie und im Hinblick auf die Verarbeitung der dazugehörigen Daten.

 

 

Ein Studienarzt mit zwei seiner Kolleginnen gesellte sich dann zu uns und erklärte noch einmal in Ruhe genau das, was wir vorher in den Papieren gelesen hatten. Ob wir Fragen hätten? Nicht wirklich. Dann wurden die vorbereiteten Einwilligungen im Beisein des Studienarztes ausgefüllt und unterschrieben. Mit Datum und genauer Uhrzeit. Alles sehr strukturiert, kein Platz für Zufälligkeiten. Ach ja, dann bekam jeder der anwesenden Probanden noch eine Nummer verpasst. Von nun an war ich Proband „#066“.

 

 

Was dann folgte, das war im Wesentlichen wohl ein Check-up-Programm, wie es auch beim Hausarzt stattfinden würde: Urinprobe und Blutabgabe. Dann aber auch noch ein Alkoholatemtest und ein EKG. Gewicht und Größe und daraus dann der BMI ermittelt. Soweit alles gut. Dann kam allerdings auch schon meine letzte Station an diesem Tag, das Blutdruckmessen. Ob ich schon immer Probleme mit zu hohem Blutdruck gehabt hätte, wurde ich gefragt. Ich? Nicht wirklich. Aber die Werte sprachen eine andere Sprache und schon zuvor schien einer der übrigen Probanden diese Hürde auch gerissen zu haben. Der Studienarzt sah leicht frustriert aus – viel Arbeit für ihn und seine Kollegen und am Ende des Tages kaum ein brauchbares Ergebnis.

 

 

Die Mitarbeiterin des Instituts versuchte eine Erklärung und stellte fest, dass sich speziell für diese Studie viele Menschen freiwillig gemeldet hatten, die bisher ganz offensichtlich keinerlei Erfahrungen mit klinischen Tests hatten. So auch bei mir! Eine gewisse Grundnervosität schien das Resultat dieser ungewohnten Situation zu sein, die wiederum mit einem zu hohen Blutdruck zusammenging. Mir gegenüber saß eine Probandin, die ebenfalls einen zu hohen Blutdruck aufwies. „Sonst ist der immer 120 zu 80“. Ich kann nicht sagen, ob eine nochmalige Blutdruckmessung bei ihr die gewünschten Ergebnisse geliefert hat. Für mich war an dieser Stelle jedenfalls das Ende meiner Studie erreicht und mir wurde am Empfangsbereich das Armband mit der „#066“ wieder abgenommen („Schade!“).

 

 

Aber auch wenn es heute nicht funktioniert hat, so wurde mir gesagt, könne ich ja vielleicht bei der Anschlussstudie mit einer größeren Probandenzahl wieder dabei sein. Dann würden nämlich auch Probanden mit „Vorerkrankung“ in die Studie aufgenommen. Schönen Dank auch, dachte ich bei mir. Eben noch jung und gesund und kaum drei Stunden später schon Patient mit „Vorerkrankung“.

 

 

Obwohl: Wenn ich so recht darüber nachdenke … ich wäre wohl tatsächlich wieder dabei! Es war ein gutes Gefühl, meinen kleinen Beitrag für die Allgemeinheit zu leisten. Oder zumindest leisten zu wollen. Und kommende Woche ist Blutspenden angesagt, das hätte ich nämlich bei einer Studienteilnahme nicht gedurft. Also: Kopf hoch und immer munter weiter. Wer weiß, was die Zukunft so zu bieten hat! Und: Helfen macht glücklich!