Stellen wir uns einmal einen Mediator ohne Empathie vor. Würde das funktionieren? Würde dieser Mediator trotzdem brauchbare Ergebnisse präsentieren können? Oder gerade deshalb? Dieses kleine Gedankenexperiment stellen Charlie Irvine und Laurel Farrington an den Anfang ihres neuesten Beitrags („Empathy“ – Kluwer Mediation Blog vom 13. Februar 2018).
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, die beiden Autoren sehen Empathie als eine der wesentlichen Kernkompetenzen eines Mediators an. Irvine ist im Übrigen – mit Heimatbasis in Glasgow - als freischaffender Mediator in weiten Teilen Großbritanniens tätig, während Farrington an der Universität Glasgow beschäftigt ist und sich insofern insbesondere auch theoretisch mit der Materie beschäftigt. Dem Thema der Empathie widmen sich damit also zwei ausgewiesene Fachleute. Sie verstehen unter Empathie in etwa die Fähigkeit, jemandes Gedanken oder Gefühle zu erkennen und auf diese mit einer angemessenen Emotion zu reagieren (“the ability to identify what someone is thinking or feeling and to respond to their thoughts and feelings with an appropriate emotion”).
Irvine und Farrington weisen in besonderer Weise darauf hin, dass die oben zitierte Definition aus zwei komplementären Bestandteilen besteht, nämlich aus einem kognitiven und einem emotionalen Element. Um wirklich empathisch zu sein, müssen also Kopf und Herz gemeinsam im Einsatz sein. Die Mischung macht‘s, könnte man auch sagen.
Sie testen ihre These am Beispiel von Psychopathen. Denn diese würden zwar die kognitiven Elemente an den Start bringen können – wer würde dies einem Hannibal Lecter absprechen wollen? Was ihm fehlt, das ist aber schlicht das fühlende bzw. mitfühlende Element. Als Gegenbeispiel zum Psychopaten zeichnen sie das Bild eines vom Unglück eines Dritten völlig übermannten Menschen, der das rechte Maß an Mitgefühl verloren hat. Dieser Verlust an Verhältnismäßigkeit führt wiederum dazu, dass sich solche Menschen so sehr mit sich selber und ihren Emotionen beschäftigen, dass sich ihre Aufmerksamkeit letztlich sogar nur auf sich selber bezieht. Kurz: Es bleibt im Ergebnis für die ursprüngliche Zielperson ihres Mitgefühls keine Aufmerksamkeit mehr übrig, was ebenfalls im Ergebnis unzureichend ist.
Empathie scheint also ein steter Balanceakt zwischen Kopf und Herz zu sein. Ein mitfühlender Arzt ist sicher einer, den sich die meisten Menschen wünschen. Um aber effektiv arbeiten zu können, muss er sich allerdings einen gewissen Abstand zu seinem Patienten bewahren. Aber haben wir das nicht eigentlich schon immer gewusst?
Sonderlich neu scheint mir diese Erkenntnis jedenfalls nicht zu sein. Aber immerhin, und jetzt kommt der zweite Teil ihres Beitrags, scheint Empathie erlernbar zu sein. Ein „skill“ eben. Mediatoren wenden Empathie als Instrument an, ohne dabei manipulativ zu sein. Konflikte bedeuten Stress für die daran beteiligten Parteien. Ein guter Mediator, so die Autoren, sei eine „secure base“ für die Medianden, gewissermaßen also ihr Fels in der Brandung. Der Mediator helfe den Parteien durch seine Empathie ihr eigenes Stresslevel zu reduzieren, sie damit also gewissermaßen in den Besprechungsraum zu bringen und zu halten. Und in einen Besprechungsmodus!
Möglichkeiten, diese Empathie auch tatsächlich anzubringen, ergeben sich im Mediationsprozess schon im Kleinen. Etwa im Hinblick auf die übliche Vorgehensweise, dass im Vorfeld der Mediation vereinbart wird, dass beide Parteien einander ausreden lassen. Der Mediator wird versuchen, dies entsprechend umzusetzen, ohne dabei den Diskussionsfluss bei jeder noch so kleinen Regelverletzung zu stören. Schließlich ist ja eines der Ziele einer jeden Mediation, dass die Parteien wieder miteinander reden und ins Gespräch kommen sollen. Meiner Meinung nach können hier die Grenzen zwischen Mediation und Moderation (der Mediation) durchaus verschwimmen.
Letztlich, und das bleibt als ein wesentliches Fazit festzuhalten, entscheiden allerdings die Konfliktparteien jede für sich, ob der Mediator seiner Rolle als empathischer Moderator ihres Konflikts gerecht wird. Es scheint damit schwer zu sein, ein spezielles Level an Empathie des Mediators objektiv zu skalieren. Festzuhalten bleibt aber auch, dass Mediation ohne ein gewisses Maß an Empathie kaum vorstellbar ist.