Keine Binsenweisheit!


Schon einmal von Gordon Livingston gehört? Livingston war Psychiater und Arzt, lebte in Baltimore und schrieb eine Handvoll Bücher zu allen möglichen Fragen der menschlichen Existenz. Sein wahrscheinlich bekanntestes („Zu früh alt und zu spät weise?“) wurde in 22 Sprachen übersetzt und beschreibt in insgesamt 30 knappen Kapiteln wesentliche Einsichten, die er im Laufe seines Lebens gewonnen hatte. Die Überschrift von Kapitel  3 spricht für sich selber und ich möchte sie unkommentiert so stehen lassen: „Irrationalem Denken lässt sich mit Logik nicht beikommen“.

 

Konflikte entstehen oft einfach deshalb, weil wir Menschen in Mustern, Gewohnheiten und Konventionen verhaftet sind. Einfacher ausgedrückt: „Wir wiederholen heute das, was gestern schon nicht funktioniert hat“ – so formuliert es jedenfalls Livingston. Auch dann, wenn es eigentlich unlogisch ist!  Wir schaffen es oftmals schlicht nicht, aus offensichtlich fehlerhaften oder unzweckmäßigen Mustern auszusteigen.

 

Der Schlüssel zur Auflösung dieser Endlosschleife ist, zumindest wenn ich Livingston richtig verstehe, dass wir uns zunächst einmal mit den eigenen emotionalen Bedürfnissen beschäftigen müssen. Bin ich in der Lage, diese klar zu benennen, dann liegt darin schon ein möglicher Schlüssel zur Lösung von Konflikten in meinem direkten Umfeld. Im Übrigen folgt daraus auch, dass wir andere Menschen so behandeln sollten, wie wir wiederum selber behandelt werden wollen. Eine Binsenweisheit? Vielleicht. Aber jedenfalls eine nützliche!

 

Ein anderer US-Amerikaner, der Unternehmer und Manager Harvey Mackay, stellt in einem seiner Bücher eine Liste von Leitsätzen („Lektionen“) zusammen, die aus seiner Sicht wichtig für den geschäftlichen Erfolg sind. Einiger dieser Leitsätze sind durchaus fragwürdig und ich denke nicht, dass ich mehr als die Hälfte davon tatsächlich unterschreiben würde. Sie widersprechen nämlich teils schlicht meinem Menschenbild. Seiner Lektion Nummer 61 kann ich allerdings vorbehaltlos zustimmen:

 

„Man kann ein Problem erst dann lösen, wenn man zugibt, eins zu haben.“

 

Viele Selbsthilfegruppen arbeiten nach bzw. mit diesem Prinzip. Im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe – und genau das soll ja im Regelfall auch eine Mediation leisten – ist das eigene Problembewusstsein nämlich von entscheidender Bedeutung. Im Übrigen sind wir alle ganz groß darin (und da schließe ich mich ausdrücklich ein!), den Fehler auf der jeweils anderen Seite zu suchen. Schafft man es aber, sich die jeweilige Situation einmal aus einer Art Vogelperspektive anzusehen, so verschieben sich scheinbare Tatsachen häufig in die eine oder andere Richtung.

 

Aber zurück zu Livingston. Der gibt nämlich am Schluss seines dritten Kapitels zu bedenken, dass es „Formen der Ignoranz gibt, gegen die beim besten Willen kein Kraut gewachsen ist“. Recht hat er! In einem solchen Fall kann man sich getrost zurückziehen und ohne schlechtes Gewissen seine Kraft und Energie auf Menschen verwenden, die zumindest ein Mindestmaß an gutem Willen und Einsicht mitbringen. Oder?