Yuppisierung von Schokoriegeln?


Zwei der aktuell richtig angesagten sogenannten Tech-Buzzwords sind – so Timo Brücken (Gründerszene vom 15. September) in seinem Artikel über neuartige Lebensmittel-Boxen – die Begriffe „Gesichtserkennung“ und „Maschinelles Lernen“. Für sich allein genommen noch kein Problem.

 

Die Gründer eines kleinen Tech-Unternehmens kombinieren beides nun mit einer Art High-Tech-Automaten für Lebensmittel. Was früher das kleine Büdchen um die Ecke verkaufte,  auch noch spät abends und am Wochenende, das soll nun, wie es der Guardian ausdrückte, ein „glorifizierter Snackautomat“ übernehmen. Zumindest in der Vorstellung der beiden Unternehmens-gründer. Salzstangen einer bestimmten Sorte für die ältere Dame mit Brille, die Schokolade mit extra viel Kakao für den jungen Mann mit Glatze, den Traubenzucker für die Studentin mit den abstehenden Ohren? Jedenfalls stelle wiederum ich mir diese Kombination aus High-Tech und Lebensmittelautomat so vor. Genau hier liegt auch schon der Kern des Problems. Und im Namen des Unternehmens: Bodega!

 

Bodega, so führt Brücken aus, bezeichnet nämlich sowohl einen Keller- oder Vorratsraum, als auch die typischen kleinen Nachbarschaftsläden in den USA. Und?

 

Der Punkt ist, dass diese kleinen Läden wiederum in der Regel von einfachen Leuten aus eher bildungsfernen Bevölkerungsschichten betrieben werden. Da kommen nun also zwei Tech-Yuppies daher, mit ihren Universitätsabschlüssen und ihren Lebensläufen voller Stationen in angesagten Internet- und Computerfirmen, und wollen den einfachen Ladenbesitzern ihre Existenzgrundlage wegnehmen. Yuppisierung von Schokoriegeln möchte man das nennen. Etwas vornehmer ausgedrückt: Gentrifizierung!

 

Ein wahrer Shitstorm – wieder so ein schönes Wort – ging auf die beiden Gründer nieder, denn sie wurden als Paradebeispiel einer solchen Verdrängung, für den massiven Konkurrenzdruck zu Lasten einfacher Menschen an den medialen Pranger gestellt. Und dann noch der Name ihres Unternehmens!

 

Beim Lesen des Artikels erinnerte ich mich an einen Vortrag zum Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation, den Klaus-Stephan Otto vor einigen Monaten gehalten hatte. Otto kam dabei zu dem Ergebnis, dass man beides (Konkurrenz und Kooperation) sinnvoll kaum voneinander trennen kann, denn Konkurrenz meint auch Dynamik. Ohne Dynamik keine Entwicklung, Stillstand! Es kommt aber, wie ich es in einem früheren Blogbeitrag formuliert habe, auf den Ausgleich von Kooperation und Konkurrenz und auf eine menschenfreundliche Grundhaltung der Akteure an.

 

Die beiden Gründer haben dies wohl instinktiv ähnlich gesehen. Jedenfalls ruderten sie von ihrer Ursprungsvorstellung der künftig überflüssigen Nachbar-schaftsläden zurück. Jeder, so ihre neue Vision, könne künftig eine ihrer Bodegas betreiben. Also auch die jetzigen Besitzer der kleinen Nachbarschaftsläden, was wiederum Umsatz und Einkommen in weiteren Schichten ermöglichen würde. Und Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Man sieht auch, dass der Grat zwischen der Umsetzung einer innovativen Idee und heftigen Konflikten, aber auch zwischen Konkurrenz und Kooperation oft nur sehr schmal ist!